Abstract
Zusammenfassung
In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg war die Nachkriegsliteratur in Deutschland von der sogenannten „Trümmerliteratur“ geprägt, man hat sich mit den Leiden der deutschen Bevölkerung nach und während des Krieges beschäftigt. 1967 wurde „Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens“ von dem Ehepaar Margarete und Alexander Mitscherlich herausgegeben. Von den Mitscherlichs wurde behauptet, die Deutschen weigern sich ihre nationalsozialistische Vergangenheit wahrzunehmen, und das ganze Verhalten könne als ein kollektives Verhalten bezeichnet werden. Ende der 70-er Jahre entstand schließlich die sogenannte „Väterliteratur“, wo die Verfasser sich mit der Vergangenheit der Eltern auseinandergesetzt haben, und nach der Wende hat in den 90-er Jahren eine sich mit der Vergangenheit stark auseinandersetzende Vereinigungsliteratur geltend gemacht. Es entstand in den 90-er Jahren eine blühende Zeit der deutschen Literatur, die unter anderem von dem sogenannten „Fräulein Wunder“ geprägt war.
Jenny Erpenbeck hat „Heimsuchung“ 2008 mit grossem Erfolg veröffentlicht. Der Roman fängt mit einer Beschreibung der Eiszeit an, und wir folgen danach unterschiedliche Menschen von der Weimarer Zeit bis zum zweiten Weltkrieg, und weiter durch Kommunismus bis zum Mauerfall. Die Erzähler sind durch ein gemeinsames Grundstück verbunden, in dem die Erinnerungen von sämtlichen Erzählern ihren Ausgangspunkt in einem Grundstück am Märkischem Meer nehmen. Das Grundstück wird somit das Zentrum von zwölf Lebensläufen während der vergangenen hundert Jahre. Kern des Buches spielt in dem 20. Jahrhundert, wobei die Zeit der zwei deutschen Diktaturstaaten hauptsächlich beleuchtet wird. Die unterschiedlichen Epochen innerhalb des 20. Jahrhunderts werden wiederum von einer oder mehreren Personen wiedergegeben. Dadurch wird dem Leser eine Auswahl der Geschichte vorgestellt, und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven. Innerhalb von der gleichen Zeitepoche werden also unterschiedliche Geschehen der gleichen Zeit von unterschiedlichen Erzählern präsentiert und betont. Gerade diese Auswahl der Geschehen finde ich so interessant, und zwar, weil die meisten Geschichten sowohl von einer Frau als auch von einem Mann erzählt werden.
In meiner Analyse von „Heimsuchung“ habe ich mich mit den im Roman auftretenden Formen des Gedächtnisses auseinandergesetzt, wichtig zu betonen sind in diesem Zusammenhang die von Aleida Assmann präsentierten Begriffe, individuelles und kollektives Gedächtnis. Ich habe mir auch das von Nünning und Nünning multiperspektivische Erzählen in Bezug auf Geschlecht angesehen, und dabei bin ich darauf eingegangen, inwiefern unterschiedliche Funktionen der narrativen Multiperspektivität in „Heimsuchung“ zu finden sind. Schließlich habe ich mich auch mit der Zweideutigkeit des Romantitels auseinandergesetzt.
„Heimsuchung“ ist ein relativ neuer Roman, und es liegen nicht viele grössere Analysen des Werkes vor. Ich habe mich teilweise auf den von Inga Probst geschriebenen Artikel, „Auf märkischem Sand gebaut“ gestützt. Außerdem habe ich Theorien in Bezug auf Geschlecht und Gedächtnis von den folgenden Verfassern erwähnt: Aleida Assmann, Ilse Nagelschmidt, Inga Probst und Torsten Erdbrügger, und Vera und Ansgar Nünning.
Unter dem Punkt „Darstellung der Erinnerung“ habe ich mich mit der Theorie von Aleida Assmann in Bezug auf unterschiedliche Formen des Gedächtnisses auseinandergesetzt. Fehlende Chronologie und sprachliche Wiederholungen werden benutzt um den Zeitaspekt der Geschichte zu betonen. Weiter habe ich mich auch die im Text auftretende Metapher, Verstecken, angesehen und schließlich habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie die individuelle Erinnerung bei meinen ausgewählten Romanfiguren zum Ausdruck kommt. Die Flüchtigkeit und Labilität der Erinnerungen kommen durch den erwähnten Zeitbegriff zum Ausdruck, die individuelle Auswahl der Geschehen wird dadurch verdeutlicht. Es gibt aber auch ein kollektives Gedächtnis, das im Grossen und Ganzen aus einer homogenen Auffassung der Geschichte besteht. Dieses kollektive Gedächtnis wird aber wiederum von den unterschiedlichen Teilnehmern der Geschichte individuell gespeichert und erinnert, was auch die Romanfiguren von „Heimsuchung“ betrifft.
Erzählstrategien in Bezug auf Geschlecht werden von Vera und Ansgar Nünning beschrieben, und besonders der Aspekt, “Multiperspektives Erzählen”, lässt sich gut in einer Analyse von „Heimsuchung“ verwenden. Als multiperspektivisch verstehen Nünning und Nünning Texte, in denen die erzählte Geschichte in mehreren Sichtweisen aufgeteilt und dargestellt wird. In diesem Zusammenhang habe ich mich mit einigen der von Nünning und Nünning aufgestellten Funktionen der narrativen Multiperspektivität auseinandergesetzt. Die Verwendung von Multiperspektivität in „Heimsuchung“ ist offenbar. Durch die Perspektive der Romanfiguren kommt eine generelle Suche nach Identität zum Ausdruck, aber die Frauen sind insbesondere stark davon betroffen. Die Geschichte im Roman bewegt sich von der patriarchalischen Zeit, durch zwei Diktaturen bis heute, und die Frauen sind in mehreren Hinsichten durch die unterschiedlichen Formen der gesellschaftlichen Unterdrückung beeinflusst und geprägt.
Das Haus in „Heimsuchung“ tritt als Schauplatz und Metapher vor, zusammen bilden das Haus und das Grundstück eine Metapher für das Vergehen der Zeit und die Spuren, die die Zeit hinterlässt. Gemeinsam haben die Romanfiguren in „Heimsuchung“, ihre Liebe zu diesem Haus und dem Grundstück am Märkischen Meer, aber auch die Tatsache, dass sie das Haus und ihre Heimat verlassen müssen, und dass ihnen eine Rückkehr verweigert ist. Der Romantitel ist sehr zweideutig in seinem Inhalt, und weist sowohl auf die Suche nach einer Heimat hin, als auch auf eine Heimsuchung der Vergangenheit. In dem letzten Teil meiner Arbeit habe ich mich deswegen den Romantitel in Bezug auf die zwei Begriffe Heimat und Heimsuchung angesehen.
„Heimsuchung“ lässt sich vielerlei als Beitrag zu den Gender-geprägten Erinnerungsmustern der Gegenwartsliteratur sehen, und kann somit inhaltlich zwischen Gedächtnis und Gender angebracht werden.
Einige Teile von „Heimsuchung“ lassen sich gut in Bezug auf die unterschiedlichen Rollen der Geschlechter interpretieren, besonders kommt das in dem Verhältnis zwischen dem Architekten und dessen Frau deutlich zum Ausdruck. „Heimsuchung“ ist aber vor allem ein Roman, der sich durch Multiperspektivität mit den unterschiedlichen individuellen Perspektiven der gemeinsamen Geschichte auseinandersetzt.